Das Dilemma mit den Bad Boys – Rape Trope, Klischees, toxische Beziehungen (Teil 2)

Teil 1
CN: sexualisierte Gewalt, psychische Erkrankungen

„Und so verliebt sich der Löwe in das Lamm.“ (Edward Cullen zu Bella, „Bis(s) zum Morgengrauen“, Carlsen 2006)
Oder anders gesagt: Das Raubtier verliebt sich in … sein Essen?! Ich denke, es versteht sich von selbst, dass diese Konstellation für das Lamm nicht gesund sein kann. Aber der Vampir ist nur eine der vielen, vielen Spielarten, mit denen man einen Anti-Helden schaffen kann. Aber Geschichten, in denen der Love Interest kein Prince Charming ist, sondern ein Bad Boy, erfreuen sich großer Beliebtheit.
Apropos, das bringt mich zu „Shrek – Der tollkühne Held“. Wenn man es genau betrachtet, erfüllt die Geschichte dieses Dreamworks Animationsfilms von 2001 alle Elemente von Dark Romance:
  • Shrek ist ein Anti-Held. Er ist unfreundlich, erschreckt alle, schert sich nur um sich und seinen Sumpf.
  • Auch Shrek hat einen eigenen Ehrenkodex, z.B. ist es ihm sehr wichtig, immer (brutal) ehrlich und authentisch zu sein. Er vertritt deutlich seine eigene Weltanschauung, die nicht übereinstimmt, mit dem, was in dem Nachbar-„Königreich“ als Norm gilt. Und er steht zu seinem Wort.
  • In der Geschichte gibt es ein ungleiches Machtgefüge. Prinzessin Fiona ist zu Beginn ziemlich machtlos. Sie ist in einem Turm eingesperrt, der von einem Drachen bewacht wird. Sie lässt sich von Shrek zu Lord Farquaard bringen, obwohl sie nicht so richtig begeistert davon ist. Tatsächlich erfahren wir später, dass Prinzessin Fiona ein ziemlicher Badass ist – sie kann mühelos eine Bande Diebe verkloppen – und ohne große Probleme mit Shreks Eigenheiten (auch den ekligen) klarkommt. Shrek ist übrigens auch nicht immer nur nett zu Fiona, ändert dieses Verhalten jedoch, sobald er sie näher kennenlernt und zu ihr Vertrauen fasst.
  • Lautes Rülpsen, Furzen, sich aus Ohrschmalz eine Kerze ziehen, Suppe mit den Augen eines Lebewesens darin verspeisen – alles nicht gerade „nette“ Dinge, also durchaus gesellschaftliche Tabus. ;-)
  • Am Ende ist es Prinzessin Fiona, die sich für die wahre Liebe ändert und zum Oger wird und somit das Machtverhältnis ausgleicht
Ihr seht: Der Anti-Held oder Bad Boy muss kein Löwe sein und die Protagonistin schonmal gar kein Lamm.* In meinem Beitrag vom Mai 2018 lehne ich mich weit aus dem Fenster und behaupte, dass der Trope „Schwache Frau trifft auf übergriffigen Mann“ eine Folge von Faulheit ist. Eine scheinbar einfache und schnelle Lösung eines grundlegenden Dilemmas, das alle Autorinnen haben, die einen Anti-Helden als Love Interest schreiben: Wie erschaffe ich einen authentischen Anti-Helden auf der einen Seite, und wie verkaufe ich auf der anderen Seite die Tatsache, dass sich die Protagonistin ausgerechnet in ihn verliebt?
Manche lösen das gut. Shrek ist ein Beispiel für einen guten Bad Boy, dessen schlechtes Benehmen nachvollziehbar ist, da er sich ungerecht behandelt fühlt und davon ausgeht, dass ihn sowieso keiner mag. Das Wichtigste ist aber, dass er praktisch sofort aus dieser Rolle fällt, sobald Fiona in sein Leben tritt. Der Schlüssel: Er kann in Fionas Gegenwart so sein, wie er wirklich tief im Innern ist. Und das Gleiche gilt für sie. Deshalb funktioniert die Geschichte als Romanze.
Manche lösen das Dilemma … na ja, gar nicht. Ein Anti-Held, der chronisch aggressiv und übergriffig ist, Menschen grundsätzlich – und Frauen im Besonderen – schlecht behandelt, gewalttätig ist etc., ist kein Bad Boy, sondern ein Sozio-/ Psychopath, auf jeden Fall jemand mit einer massiven (narzisstischen) Persönlichkeitsstörung! Natürlich kommen in diesem Fall ganz andere Herausforderungen auf eine Autorin zu und, strenggenommen, befinden wir uns dann nicht mehr im Genre Romance (sondern z.B. Psycho Thriller). Wer eine derart gestörte Figur erschafft und das Ganze dann einfach übergeht, weil angeblich die Romantik, die Beziehung, im Vordergrund steht, der macht halt nur den halben Job.


Keine halben Sachen – eine Frage der Balance
Ausschlaggebend ist, wie stark unterschiedlich die (empfundenen) Machtverhältnisse sind. Ungleiche Machtverhältnisse sind im echten Leben keine Seltenheit. Oft sind sie subtiler, manchmal auch nur eingebildet. Aber, entführt der Anti-Held z.B. die Protagonistin und hält sie gefangen, ist die Balance bis ins Extreme gestört, und zwar nicht nur faktisch, sondern hinzu kommt für die Protagonistin auch noch die schlimme Erfahrung des Ausgeliefertseins. Dies am Ende nachvollziehbar auszugleichen, sodass die Romanze funktioniert, ist meiner Meinung nach praktisch unmöglich. Egal welche Konstellation man nun auswählt als Autorin – die Protagonistin muss Wahlfreiheit haben, auch wenn sie diese vielleicht (zu Beginn) nicht sieht. Einfach gesagt: Sind Konstellation (Machtverhältnis) und die Rahmenbedingungen so gesetzt, dass die Protagonistin faktisch nur die Wahl hat, sofort abzuhauen, den Kontakt abzubrechen, dann ist es halt so. Und die Romanze damit im Keim erstickt. Ergo: Man hat keinen (vollständigen) Romance-Plot.


„Und was hätte ich von alldem?“ (Ana Steele, „Fifty Shades of Grey - Geheimes Verlangen“, Band 1, Goldmann 2012)
Ana stellt eine berechtigte Frage, als Christian ihr seine Folterkammer zeigt und sagt, dass er sie bestrafen wird, wenn sie nicht gehorcht. Leider hat Christian nur eine sehr plumpe Antwort: „Mich.“ *Augenroll* Aber grundsätzlich zeigt der Dialog einen sehr wichtigen Aspekt: Eine (Dark) Romance-Autorin macht keine halben Sachen! Genau wie im echten Leben gehören auch zu einer Liebesbeziehung zwischen zwei fiktiven Figuren zwei Seiten. Jeder der beiden hat etwas zu geben und bekommt etwas dafür, das sie/ er braucht. Das heißt, Autorinnen müssen folgende Fragen beantworten:
  • Was könnte ein Anti-Held, der die Macht zunächst auf seiner Seite hat, einer Protagonistin bieten, um das Verhältnis zu ihren Gunsten zu beeinflussen? Und, sorry, „Liebe“ mag vielleicht die naheliegendste Antwort sein, aber leider ist das zu wenig. Was noch? Da gibt es einiges, z.B.: Verständnis, Anerkennung, Vergnügen, Sicherheit, …
    Besonders gut funktioniert es übrigens, wenn die Protagonistin ein Problem hat, das der Anti-Held aufgrund seiner Eigenheiten oder seiner Lebensrealität besser versteht als alle anderen. „Er ist der Einzige, der mich wirklich versteht.“
  • Was hat die Protagonistin auf ihrer Seite, das den Anti-Helden dazu bewegt, aus seiner Rolle zu treten? Und, sorry, „Schönheit“ ist auch hier wieder nicht weit genug gedacht. Wenn der Anti-Held jemand ist, der sich ein Verhaltenskostüm übergestülpt hat, dann muss sie sein Vertrauen gewinnen, damit er sich ihr so zeigt, wie er sich sonst niemandem zeigt.
    Besonders gut funktioniert das übrigens, wenn es für ihn deutlich befreiend dargestellt wird. „Nur bei ihr kann ich ich selbst sein.“ 
Liebesgeschichten sind meist aus der Perspektive der Protagonistin verfasst, oft sogar in der Form der „Ich-Erzählerin“. Folgt man dann konsequent der perspektivischen Strenge, werden sich diese Fragen nur sehr schwer oder nur in Teilen beantworten lassen. Die Figur des Anti-Helden ist komplex. Folgen wir der Analogie, die Shrek anwendet („Oger sind wie Zwiebeln.“), so erkennen wir, dass Anti-Helden – genau wie Zwiebeln – aus mehreren Schichten bestehen. Die Protagonistin sieht allerdings nur die äußere Schicht, die Schale, die Bad Boy Attitüde. Dass mitten im Kern ein Mann ist, der es nicht leicht hatte im Leben, der sich nach und nach immer mehr Schutzschichten zugelegt hat, kann sie maximal vermuten. Damit wird es schwierig, ihre Gefühle für ihn glaubwürdig darzustellen. Eine Lösung könnte also sein, die Perspektive des Anti-Helden einzunehmen und die Geschichte aus beiden Perspektiven zu erzählen, somit Verständnis und Sympathie für den Anti-Helden zu schaffen und den Bogen zurück zur Protagonistin zu schlagen. Am Ende des Tages ist der Bad Boy auch nur ein Mensch, der Fehler macht. Der die Protagonistin auch mal ungewollt verletzt oder seine Macht unbewusst missbraucht. Das ist okay, solange er es erkennt und ernsthaft bereut bzw. ihm die Möglichkeit gegeben wird, bewusst aus seiner Kultur der toxischen Maskulinität herauszutreten, das Bad Boy-Kostüm abzulegen. 


Fazit
Ein Bad Boy ist ein Anti-Held und genauso komplex muss er auch aufgebaut werden. Die Tatsache, dass ein Anti-Held zum Love Interest wird, ist nicht automatisch gleichzusetzen mit dem Rape Trope, wenn man es richtig macht. Ungleiche Machtverhältnisse lassen sich nicht vermeiden, denn wie jeder gute Roman braucht es einen Konflikt, um Spannung zu erzeugen. Allerdings kann diese Dysbalance durch externe Faktoren entstehen, auf die die Protagonisten selbst keinen Einfluss haben. Und das Ziel muss immer der Ausgleich sein, mindestens jedoch eine Annäherung, die in die richtige Richtung geht. Denn, wie auch immer eine Romance-Geschichte ausgeht, das Ende ist meist erst der Anfang. Doch was das Ende von Liebesromanen angeht … nun, das Thema verdient einen eigenen Beitrag.

Also, ein kleiner Aufruf meinerseits: Lasst uns nicht aufhören, Bad Boys als Love Interest zu schreiben – doch lasst es uns richtig machen! 








*Einzige Ausnahme bilden hier vielleicht jene Romane, die bewusst den Vergewaltigungs-Fetisch bedienen, den es tatsächlich gibt. In der Regel werden diese Romane nicht für junge Zielgruppen beworben, bzw. es wird durch Aufmachung und Klappentext deutlich, was hier zu erwarten ist. Meiner Meinung nach haben sie eine Daseinsberechtigung, ähnlich wie Pornographie, sollten dann aber auch so gehandhabt werden und nur für Erwachsene zugänglich sein. Doch FSK für Bücher ist ein anderes Thema, das immer mal wieder hitzig diskutiert wird.