Das Dilemma mit den Bad Boys – Rape Trope, Klischees, toxische Beziehungen (Teil 1)

Warum sehen wir den Rape Trope immer öfter im Romance-Genre? Muss das sein? Ich sage ganz klar: Nein. Der Bad Boy als Love Interest ist für Autorinnen und Lesende durchaus spannend, doch es braucht keinen Rape Trope dafür. Ich habe dieses Jahr auf dem #LitCamp19 in Heidelberg eine Session zu diesem Thema gehalten und auf Wunsch einiger Teilnehmer folgt hier nun der komplette Beitrag.
Vor ca. 1 Jahr habe ich schon einmal einen Beitrag zu dem Thema verfasst („Ich hätte gerne etwas Dark Romance, bitte – aber mit ohne Rape Fiction!“). Hier ging es mir darum, darzustellen, wie ein blöder Trope ein ganzes Genre in der Wahrnehmung mancher Lesenden diskreditieren kann. Ja, es gibt sie, die Romane, in denen gefährliche Machtverhältnisse romantisiert werden. In denen Rape Culture nicht nur als normal, sondern als völlig in Ordnung dargestellt wird. Deshalb müssen wir darüber reden und uns (sowohl als Autorinnen als auch Lesende) bewusst machen, welche Mechanismen hier zu berücksichtigen sind.

Im Folgenden gehe ich davon aus, dass der Rape Trope bekannt ist. Eine wirklich gelungene Einordnung findet sich bei Aurelia (geekgefluester.de, Artikel von 2017). Der Vollständigkeit halber möchte ich anmerken, dass ich bei meinen Beschreibungen in diesem Beitrag von einer (cis) weiblichen Protagonistin und (cis) männlichen Love Interest ausgehe, was nicht bedeutet, dass die Mechanismen nicht auch in Queer Romance vorkommen können. Der Rape Trope hat seinen Ursprung in den traditionellen und mittlerweile veralteten Rollenbildern von Frau und Mann.
CN: sexualisierte Gewalt, psychische Erkrankungen


Der Bad Boy als Love Interest
Zunächst stellt sich wie immer die Definitionsfrage: Was ist ein Bad Boy eigentlich? Wörtlich übersetzt ist er ein „böser Junge“, was millionenfache Spielmöglichkeiten eröffnet, wie man so eine Figur entwickeln kann. Man beachte, dass die Bezeichnung eine Verniedlichung enthält: Boy/ Junge. Eigentlich impliziert das, dass man den Bad Boy nicht für voll nehmen kann. So als sei er kein vollwertiger Mann, sondern jemand, der nur so tut, als ob. Im Englischen würde man sagen, dass es ein „Act“ ist, eine Art Verhaltenskostüm, das sich die Figur übergestülpt hat. Wann immer sich eine Person ein derartiges Kostüm überzieht hat sie etwas zu verbergen, z.B. könnte eine Figur sich die Bad Boy Attitüde zu eigen machen, um eine Unsicherheit zu kaschieren. Oder, weil sie sich sonst in ihrem Umfeld – z.B. als Mitglied einer Straßengang – angreifbar für Feinde machen würde. Oder weil sie versucht, ein toxisches Männerbild auszufüllen, welches ihr von Kindheit an eingeprügelt wurde. Hinter einem Bad Boy verbirgt sich ein Anti-Held und wie bei allen Geschichten, die einen Anti-Helden zum Protagonisten haben, muss man auch den Bad Boy entsprechend komplex aufbauen. Bleibt man oberflächlich, driftet man schnell ab ins billige Klischee.

Im Sub-Genre Dark Romance ist der Anti-Held praktisch gesetzt. Auch in Romantic Suspense kann er (muss aber nicht) vorkommen. Der Grund weshalb wir den Rape Trope immer mehr sehen, liegt zum Teil darin begründet, dass diese Sub-Genres mehr und mehr Einzug in den Mainstream halten. Doch, warum ist der Rape Trope so häufig in diesen Romanen zu finden? Wie können wir uns dies bewusst machen und als Autorinnen umgehen?
Schauen wir uns dazu die fünf Elemente von Dark Romance an: 
  1. Anti-Held
    Der männliche Protagonist und Love Interest ist kein Mensch, der seine persönlichen Wünsche einem höheren Ziel unterordnet. Er will die Welt nicht verbessern. Er ist gebrochen, stark auf sich selbst bezogen und hat oft eigene Wertvorstellungen abseits gesellschaftlicher Normen.
  2. Ehrenkodex
    Es ist nicht so, dass der Anti-Held keine Ehre hätte – er definiert sie nur anders. Ist er z.B. Mitglied einer kriminellen Organisation, wie einer Motorrad-Gang, so würde er dem dort herrschenden Ehrenkodex folgen. Wäre er ein Milliardär, wäre es ähnlich, denn auch in der Welt der Superreichen gibt es Verhaltensregeln, die von der gesellschaftlichen Norm abweichen. Dieser Kodex ist dem Anti-Helden sehr wichtig und bestimmt maßgeblich sein Verhalten.
  3. Balance zwischen Consent und Machtausübung
    Die Protagonisten eines Dark Romance-Romans begegnen einander in sehr unterschiedlichen Machtkonstellationen. Die Protagonistin wird z.B. zu Beginn aus ihrer Komfortzone gerissen – daraus folgt auch ein gewisser Kontrollverlust. Der Anti-Held hat in der Regel die Kontrolle und damit die Macht auf seiner Seite. Das kann durch äußere Umstände gegeben sein, z.B.: Er ist ein Milliardär, sie ist eine arme Studentin. Oder sie gerät in Konflikt mit einer Motorrad-Gang, er ist ein Mitglied davon. Durch diese Prämisse ist die Wahlfreiheit der Protagonistin in gewissem Maße eingeschränkt. Sie kann die Situation nicht ohne Weiteres (zu ihren Gunsten) ändern. Manchmal glaubt sie auch nur, keinen Ausweg zu haben, hat aber tatsächlich eine ganze Reihe von Optionen, die sie nicht wahrnimmt oder nicht sehen will.
    Achtung: Ihre Möglichkeiten, aktiv Consent geben zu können, sind damit begrenzt! Das ist höchst problematisch, wenn (1) der Anti-Held es für seine Zwecke ausnutzt und/oder (2) es so dargestellt wird, als wäre es die Grundlage für die romantische Beziehung zwischen den beiden (nach dem Motto: „Solange sie sich nicht wehrt/ alles akzeptiert, bleiben sie glücklich zusammen“). Abgemildert werden kann diese Situation z.B. dadurch, dass der Anti-Held sich bewusst dagegen entscheidet, seinen Vorteil, seine Macht auszunutzen. Beispiel: Christian Grey hält sich von Ana Steele fern, als ihm klar wird, dass sie sexuell komplett unerfahren ist und damit seine speziellen Bedürfnisse nicht richtig einordnen kann. Anfangs ist er ja tatsächlich auch der Meinung, dass er nicht der Richtige für sie ist. Doch natürlich wäre damit die ganze Story dahin – und genau das ist nebenbei das große Problem der „Grey“-Reihe: Der Plot basiert allein auf der toxischen Beziehung, die wiederrum auf Machtausübung basiert. Wahrscheinlich das bekannteste und zugleich beste Negativ-Beispiel.
  4. „Wrongness“ – Abgründe, Tabus, Verbrechen
    Ein besonderes Merkmal von Dark Romance-Geschichten, aber auch Romantic Suspense, ist die Einbindung von Themen, die (gesellschaftlich) – sagen wir – schwierig sind. Im o.g. Beispiel der „Grey“-Reihe ist es die BDSM-Thematik, die ein gesellschaftliches Tabu in den Fokus rückt. Meist sind diese Themen in der Lebenswelt des Anti-Helden begründet, z.B. Kriminalität (wenn er Mitglied einer Motorrad-Gang ist), aber auch psychische Erkrankungen, Traumata etc., die den Anti-Helden erst zu dem machen, der er ist. Das Ergründen von seelischen Abgründen und den negativen Kräften der Liebe ist eine große Motivation für Autorinnen dieses Genres. Und gerade deshalb dürfen sie keine halben Sachen machen. Keines dieser Themen darf allein als Randerscheinung behandelt werden. Eine psychische Krankheit ist mehr als nur in zwei/ drei Nebensätzen zu erwähnen, denn sie ist viel zu wichtig. Kriminalität und böse Taten seitens des Anti-Helden müssen in Kontext gesetzt werden. Etc.
  5. Erlösung
    Was auch immer dazu geführt hat, dass das Machtgefüge anfangs so unterschiedlich ist – Ziel muss immer sein, dieses am Ende wieder auszugleichen. Die Protagonistin erlangt mit der Zeit einen Teil ihrer Kontrolle zurück. Der Anti-Held gibt einen Teil seiner Kontrolle ab. Im Falle des Bad Boy würde dieser z.B. seine Attitüde, sein Kostüm, ablegen und sich damit angreifbar, verletzlich machen. Ob die Erlösung (oder Auflösung) zu einem Happy End führt oder nicht, ist von den Figuren abhängig, je nachdem, wie stark und in welche Richtung sie sich entwickeln. Bei einem Happy End könnte der Bad Boy, nachdem er seine Maskerade abgelegt hat, geloben, ein besserer Mensch zu werden. Die Protagonistin glaubt ihm und sie bleiben zusammen. Bei einem Un-Happy End wird die Protagonistin erkennen, dass der Bad Boy nicht bereit ist, seine Maske dauerhaft abzulegen und sich zum Besseren zu verändern, und sich in der Folge von ihm trennen. Dabei hat sie allerdings eine positive Entwicklung hin zu größerer emotionaler Stärke durchlaufen.
Diese Auflistung macht eines deutlich, nämlich, dass hier nirgendwo explizit Übergriffigkeit und/ oder (sexualisierte) Gewalt seitens des Anti-Helden gegenüber der Protagonistin erwähnt wird.

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