Ich hätte gerne etwas Dark Romance, bitte - aber mit ohne Rape Fiction!

Ich bin dem Genre Dark Romance nicht völlig abgeneigt. Man könnte sogar sagen, dass meine Geschichten allesamt einen Touch davon beinhalten. Allerdings gibt es in diesem Genre eine Seite, die mir nicht so gut gefällt. Nämlich die Tatsache, dass sexuelle Übergriffe und gewaltvolle Machtausübung vor allem hier immer wieder relativiert und/ oder als etwas Romantisches dargestellt werden. Problematische Beziehungsgefüge sind kein Merkmal von Dark Romance allein. Man findet sie auch in historischen Romanen, Romantic Fantasy u.v.a. Hier soll auf Dark Romance im Speziellen eingegangen werden.  

Aber, zunächst eine Definitionsfrage: Was ist Dark Romance eigentlich? (Anmerkung vorneweg: Ich beschränke mich hier der Einfachheit halber auf Hetero-Geschichten, was nicht heißt, dass es in Gay Dark Romance dieses Problem nicht auch gibt.)
Im Grunde handelt es sich um Liebesgeschichten, bei denen der (meist) männliche Love Interest nicht Prince Charming ist. Er ist kein netter Typ, den die Protagonistin anhimmelt und, den sie sich nach einigen (meist lustigen) Irrungen und Wirrungen schließlich angelt. In Dark Romance ist er ein Bad Boy, jemand, der andere (meist auch die Protagonistin) schlecht behandelt. Vielleicht ist er auch kriminell oder einfach nur sehr böse in seinen Handlungen. Manchmal ist er zu Beginn der Geschichte für die Protagonistin nicht anziehend, sondern eher abstoßend. Manchmal ist sie auch sofort verknallt. Es gibt zwei mögliche End-Szenarios:
  1. Happy End-Szenario: Die Protagonistin schafft es, seine harte Schale zu knacken, durch sie wird er ein besserer Mensch. Sie werden ein Paar und glücklich miteinander. 
  2. Unhappy End-Szenario: Die Protagonistin stellt fest, dass sie ihn nicht ändern kann und bricht den Kontakt ab. Immerhin hat sie dann meist eine gute Entwicklung durchgemacht und ist am Ende schlauer und stärker.
Für Autoren dieses Genres stellt sich ein Problem dar: Wie erschaffe ich einen Bad Boy, einen wirklich unsympathischen Charakter auf der einen, und wie verkaufe ich die Tatsache, dass sich die Protagonistin ausgerechnet in ihn verliebt, auf der anderen Seite. Hier schlagen leider viele Autoren einen – in meinen Augen – einfachen Standardweg ein:
Die Protagonistin muss ein schwaches Pflänzchen sein, mit wenig Lebens- und Liebeserfahrung. Oft sind diese Charaktere mächtig flach und bieten demnach dem meist jungen weiblichen Leserpublikum eine große Projektionsfläche und damit Identifikationsmöglichkeit. Der Grund, weshalb die Protagonistin so gezeichnet wird? – Ganz simpel: Einer emanzipierten, in sich selbst gefestigten, selbstbewussten und intelligenten Frau würde man diese Liebe schlichtweg nicht so einfach abkaufen. Eine schwache Frau wird doch viel schneller emotional abhängig. Also, warum viel Zeit in die Entwicklung dieses weiblichen Charakters investieren, wenn es so doch viel einfacher geht?
Der Bad Boy muss als solcher ebenfalls entsprechend rüberkommen. Da wir Autoren alle „Show, don't tell“ gelernt haben, lassen viele Dark Romance-Autoren ihre männliche Hauptfigur allerlei Böses tun und sagen. Und – welch geniale Idee – sie lassen ihn auch relativ viel Böses mit der Protagonistin anstellen. Weil das den Konflikt so schön zur Geltung bringt und somit Spannung erzeugt. Juchuu! Nicht selten wird hier das ganze Repertoire verbaler und körperlicher Übergriffe abgespult. Je krasser, desto besser, bzw. desto böser wird der Bay Boy.
Dies sind natürlich Extrembeispiele. Aber, auch wenn die Ausprägung der Figuren subtiler ist, die Konstellation ist immer die Gleiche. Bella Swan ist zarte Siebzehn Jahre alt, unsicher, schüchtern auf der neuen Highschool. Edward Cullen ist über hundert Jahre alt, dringt heimlich in ihr Schlafzimmer ein und beobachtet sie. Er will nichts Geringeres, als sie aussaugen (also: töten). Ana Steele ist sexuell komplett unerfahren, Jungfrau, deutlich unsicher in Christian Greys Gegenwart. Er ist sich dessen voll bewusst, trotzdem züchtigt und erniedrigt er sie, verlangt nicht weniger, als dass sie ihr ganzes Leben nach ihm ausrichtet. 
Die Konstellation ist immer gleich: schwache Frau - übergriffiger Mann. Machtlos gegen bestimmend. Kurz: Rape Fiction.

Ich denke, ich brauche nicht im Detail darauf einzugehen, warum dies problematisch sein kann. Hier wird der Eindruck erweckt, dass Frauen das wollen und, dass ein Mann sich nur zu nehmen braucht, was er will. Am Ende wird die Frau ihm sogar dankbar dafür sein, dass er sie erniedrigt, manipuliert und vergewaltigt hat, denn sie wird schließlich mit der wahren Liebe belohnt. Glaubt denn jemand diesen Bullshit wirklich?
Diese Geschichten haben ihre Fans und ich möchte niemandem vorschreiben, was sie zu lesen hat oder, was sie gut finden darf. Der Grund, weshalb sich Abnehmerinnen für diese Geschichten finden, ist der Neanderthaler, der Urmensch, der in uns allen steckt. Der Neanderthaler in uns weiß, dass ein starker Mann eine bessere Garantie fürs Überleben ist. Dass manche Frauen auf den Macho, auf den Bad Boy stehen, beruht auf der jahrtausendealten Überlieferung, dass Stärke sich durch Aggressivität und durch Machtausübung ausdrückt. Der uralte Instinkt nach einem starken Ernährer und Beschützer ist unter anderem auch der Grund, weshalb manche Frauen bei Männern bleiben, die sie immer schlecht behandeln oder gar misshandeln. Nun hat die Menschheit eine Evolution durchgemacht und auch die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt. Heute wird Stärke anders definiert und das Männerbild hat sich stark gewandelt (was für sie übrigens ebenso schwierig zu erfüllen ist, wie für uns, das aktuelle Frauenbild auszufüllen). Genauso, wie er uns daran hindert abzunehmen und uns den Jojo-Effekt beschert, genauso beeinflusst der Neanderthaler in uns, wen wir attraktiv finden, auch wenn unser gebildetes, modernes Feministinnen-Großhirn uns sagt: „Spinnst Du?! Lass die Finger von dem!“ Ein Ausweg aus dieser Zwickmühle könnte sein, den Neanderthaler in uns mit Fiktion und Fantasie zu beschäftigen, also: Dark Romance zu lesen.
Okay, ich hoffe, dass war jetzt nicht zu pseudo-wissenschaftlich. Aber, was ich damit sagen will, ist: Diese Art von Geschichten, in denen der Macho, der harte Kerl von einer Frau gezähmt wird, sind uralt. Und sie haben auch ihren Charme, das gebe ich zu. Ich frage mich nur, warum das in aktuellen Dark Romance-Geschichten oft so krass ausarten muss. Kann man denn Dark Romance nur so schreiben? Muss da unbedingt Rape Fiction mit rein?

Das bringt mich zu meinem aktuellen Schreibprojekt „Lola“ (Arbeitstitel). Es macht mich immer etwas nervös, wenn ich ein Projekt ankündige. Das setzt mich nämlich unter Druck, denn wenn ich es ankündige, muss ich auch liefern.
Projekt „Lola“ steht noch ziemlich am Anfang. Das grobe Plotgerüst steht, die ersten Szenen sind geschrieben. Das Konzept stammt aus 2009, ist also schon fast zehn Jahre alt. Zu der Zeit war ich Anfang Zwanzig und ziemlich genervt von den Liebesromanen, die es zu der Zeit auf dem Markt gab. Inspiriert von einem Film über mafiöse Strukturen und viel, viel Gewalt entwarf ich eine Love Story, die anders sein sollte. Nicht so rosa-plüschkissen-romantisch. So entwickelte sich der ursprüngliche Plot:
Die Protagonistin wird durch ihren idiotischen Bruder in Mafiageschäfte verwickelt. Der gutaussehende männliche Hauptcharakter zwingt als Mitglied der Mafia die Protagonistin dazu, bei den kriminellen Geschäften mitzumachen. In diesem ersten Entwurf der Geschichte ist die Protagonistin Lola zwar nicht zart und schwach, aber die Motivation, sich Dom (dem Mafioso) zuzuwenden, ist allein die Angst. Er spielt seine Macht schamlos aus. Auch hinter dem Grund, weshalb sie schließlich mit ihm schläft, steht der Gedanke, ihn zu beschwichtigen, damit er ihr und ihrer Familie nicht noch mehr abverlangt. Bitte sehr: Dark Romance mit Rape Fiction. Wohl bekomms!
Ich denke, ich brauche nicht zu sagen, wie ungläubig ich den Kopf über mich selbst geschüttelt habe, als ich vor zwei Jahren das Konzept wieder entdeckte. Aber mich reizte die Geschichte immer noch. Also beschloss ich, das Projekt weiter zu spinnen – ich werde eine Dark Romance Gesichte schreiben, einen romantischen Thriller, der ohne Rape Fiction auskommt. Das verlangt unter den Vorzeichen viel Arbeit an den Figuren, deren Backstory und den Beweggründen, weshalb sie tun, was sie tun. Das verlangt einen umso durchdachteren Plot. Bisher bin ich wirklich froh, dass ich es angegangen bin. Meine beiden Hauptfiguren haben dadurch unglaublich viel an Tiefe gewonnen, finde ich. Und es macht unglaublich Spaß, mal etwas mehr nachzudenken, statt den einfachen Standardweg zu beschreiten. Die Protagonistin ist eine starke Persönlichkeit mit dunklen Flecken in ihrem Lebenslauf. Der Bad Boy Mafioso wird ihr gegenüber nicht gewalttätig und die Macht, die er ausübt, ist in Wahrheit eine Fassade. Über allem schwebt die Frage: Kann man Gut und Böse so einfach trennen? Wird ein guter Mensch durch schlechte Taten automatisch böse? Was wenn die Umstände einen dazu zwingen, etwas Schlechtes zu tun?
Ob es mir gelingen wird, diese Fragen zumindest zum Teil zu beantworten und, ob es mir gut gelingt, das werdet ihr frühestens im Sommer 2019 erfahren. (Warum nur hab ich diese Latte nun so hoch gelegt? Aahhh!)