Weißer Schatten - Meine Lieblingsbücher Teil 7

Diejenigen, die mich näher kennen (oder mir auf Twitter folgen) wissen, dass ich mich persönlich sehr dem Land Südafrika verbunden fühle. Neben der wunderschönen Landschaft, die einem jeden Tag den Mund offenstehen lässt, faszinieren mich die Menschen dort und die Tatsache, dass sie praktisch erst vor Kurzem (1992) eine tief gespaltene, unterdrückende Gesellschaftsform (Apartheid) überwunden haben. Seitdem ich in Südafrika war, weiß ich, dass Rassismus nicht immer von einer Mehrheit gegenüber einer Minderheit ausgeübt werden muss. Dass Denken in Schubladen und gesellschaftlichen Klassen auch Sicherheit bedeuten kann. Und dass Versöhnung nicht erreicht werden kann, indem man Finger in Wunden reibt. Natürlich habe ich auch Bücher von südafrikanischen Autoren gelesen und mein Favorit bisher ist:

 „Weißer Schatten” – Deon Meyer (2008)
ISBN: 978-3-7466-3091-5 (Anmerk.: Ich besitze eine unverkäufliche Sonderausgabe anlässlich des Welttags des Buches 2014), Aufbau
Klappentext:
In den Fernsehnachrichten glaubt Emma le Roux, ihren vor zwanzig Jahren verschwundenen Bruder zu sehen. Im Kruger-Nationalpark soll er vier Wilderer getötet haben, die ein Reservat überfielen. Emma macht sich auf die Suche – an ihrer Seite nur Lemmer, ein schweigsamer Bodyguard, der bald den ersten Anschlag auf sie abwehren muss. Doch wer steckt dahinter? Korrupte Polizisten? Ökoterroristen oder gar der Geheimdienst? Emma und Lemmer erkennen, dass sie einer Verschwörung auf der Spur sind, die tief in die Vergangenheit ihres zerrissenen Landes führt.
Erster Satz: „Ich schwang den Vorschlaghammer im langsamen Rhythmus.“

Deon Meyer schreibt seine Romane auf Afrikaans und nicht, wie viele südafrikanische Autoren, auf Englisch. Deshalb ist der Original-Titel auch „Onsigbaar“ (Unsichtbar) und der passt auch deutlich besser zu dem Roman als der deutsche Titel „Weißer Schatten“ (oder gar der englische: „Blood Safari“). Denn der Protagonist Lemmer ist ein „Unsichtbarer“, ein unauffälliger Leibwächter, der von Emma le Roux nach einem Anschlag auf sie eingestellt wird. Sie glaubt in einem Fahndungsfoto, das im Fernsehen gezeigt wird, ihren verschwundenen Bruder zu erkennen und reist mit Lemmer ins Lowveld, an den Kruger-Nationalpark, um Nachforschungen anzustellen. Hierbei geraten sie sehr schnell an Leute, die vor nichts zurückschrecken. Lemmer gräbt immer tiefer und findet neben Emmas Bruder auch einige erschreckende Details aus der Vergangenheit des Landes heraus.

Was ich an Deon Meyer schätze, ist die Tatsache, dass er die gesellschaftlichen Besonderheiten seines Heimatlandes Südafrika in seine Romane einflechtet ohne die Rassismuskeule zu schwingen oder sich für die Vergangenheit zu rechtfertigen. Manches in der „Regenbogennation“ ist eben nicht so unschuldig und bunt, wie man annehmen möchte. Eine über Jahrhunderte andauernde Teilung der Gesellschaft, ist nicht innerhalb von ein paar Jahren komplett aufzuheben. Auch ich habe bei meinem Aufenthalt die krassen Gegensätze gesehen: die Townships auf der einen und die Gated Communities auf der anderen Seite. Doch auch ich musste feststellen, dass viele der meist schwarzen Südafrikaner, die mir arm vorkamen, sich selbst gar nicht als arm ansehen. Bloß weil sie (für unsere Verhältnisse) bescheiden wohnen, sind sie nicht gleich arm. Ebenso sind nicht alle weißen Südafrikaner reich – der Mittelstand ist im Vergleich zu Europa ebenfalls arm. Und trotzdem sind es ausschließlich die schwarzen Afrikaner, die die schlecht bezahlten, unqualifizierten Jobs machen, und die heute noch ohne Auto, Fernseher und mit nur stundenweisem Strom leben. Natürlich ist all das Nährboden für Kriminalität und Korruption.

In „Weißer Schatten“ spürt man viel von der Atmosphäre, die im Land herrscht. Und diese ist durchaus eine angespannte und von Angst geprägte. Menschen jeder Hautfarbe und unabhängig von ihrem sozialen Status schotten sich ab. Praktisch an jedem Haus finden sich „Armed Response“-Schilder. Es gibt dreimal mehr private Sicherheitskräfte, zu denen auch Meyers Protagonist Lemmer gehört, als staatliche Polizeikräfte. So ist es nicht ungewöhnlich, dass eine Frau wie Emma sich einen Bodyguard besorgt. Und ebenso ist es nicht ungewöhnlich, dass sie auf einen korrupten Polizisten treffen – einen Angehörigen der Sibashwa (ein Stamm der Landforderungen an den Kruger-Nationalpark stellt), der sich den Protagonisten in den Weg stellt. Ich selbst bin bei Nelspruit, Mpumalanga, nahe des Kruger-Nationalparks, Opfer einer korrupten Polizistin (Afrikanerin, also schwarz*) geworden, die mir 800 Rand (ca. 80 Euro) für eine angebliche Traffic Violation abgezockt hat – die Hand dabei immer schön lässig auf dem Griff ihrer Pistole am Gürtel. Für Europäer ist so etwas vielleicht schockierend, für Südafrikaner (Afrikaner, Afrikaaner, Weiße, und Coloureds*) ist es alltäglich, mit der Bedrohung durch Waffengewalt, Korruption und Aufständen zu leben. Das war vor und während der Apartheid auch schon so. Das alles sollte man im Hinterkopf haben, wenn man „Weißer Schatten“ liest, denn vieles (vor allem die scheinbar maßlose Gewalt) erklärt sich einfach dadurch, wie die Gesellschaft dieses Landes zusammengestellt ist.

* Zum Verständnis:
Afrikaner (mit einem a) = Die schwarze Bevölkerung Südafrikas, die sich aufteilt in verschiedene Volksgruppen und Stämme, z.B. Zulu (die größte Gruppe), Xhosa (Mandela war ein Xhosa), Ndebele, Sotho, Swasi, Tsonga, etc.
Weiße = Nachfahren der englischen Kolonialnisten oder spätere Einwanderer aus Europa oder Amerika (übrigens auch Afro-Amerikaner aufgrund ihres westlichen, weißen Lebensstils).
Afrikaaner (mit zwei a) = In Afrika geborene Weiße, Nachfahren der frühen Einwanderer aus den Niederlanden, Frankreich, Deutschland etc. Diese auch als Buren bezeichnete Gruppe hat zwar Land besetzt, jedoch nicht kolonialisiert, und in einigen Gegenden friedlich mit den schwarzen Afrikanern zusammengelebt, und sich im Übrigen auch vermischt, d.h. Afrikaaner haben zum Teil schwarzafrikanische Gene in sich, auch wenn sie (überwiegend) weiß aussehen. Mit den Zulu allerdings führten sie Krieg, den sie verloren. Gegen die britischen Kolonialisten haben sich die hauptsächlich als Bauern lebenden Afrikaaner auch vehement gewehrt, und konnten doch nichts ausrichten, die Kolonialisierung durch die Briten nicht verhindern.
Coloureds (Farbige) = Im Prinzip der ganze Rest, und das sind nicht Wenige. Hauptsächlich handelt es sich um Nachfahren von indischen oder anderen asiatischen Sklaven, die mit der Ost-Indien-Kompanie nach Südafrika kamen. Viele von ihnen sind Muslime. Man könnte auch sagen, es handelt sich um alle, die weder Weiß, noch Buren, noch Schwarze sind. Während der Apartheid waren sie etwas besser gestellt, als die schwarzen Afrikaner, durften z.B. mit Weißen Geschäfte machen.

Kleiner Exkurs – die Rassismus-Frage:
Vieles, was in Südafrika passiert, kommt uns, aus unserem deutschen/ europäischen Hintergrund kommend, rassistisch vor. In Deutschland empfinden es viele als beleidigend, wenn sie gefragt werden, wo sie herkommen, bloß, weil sie „südländisch“ aussehen oder einen ausländisch klingenden Namen haben. Natürlich kann das verletzend sein, wenn man allein seinem Aussehen nach, für nicht Deutsch gehalten wird, obwohl man in diesem Land geboren wurde. In Südafrika ist die Frage nach der Herkunft, bzw. dem Ursprung der Familie, keine Beleidigung, sondern ganz normal. In Kapstadt, z.B. war der erste Satz, den Leute (egal welcher Hautfarbe) nach der Begrüßung zu mir sagten, immer die Frage: „Woher kommst du?“. Und wer höflich ist, fragt zurück. Selbstverständlich sind das Nachwehen der Apartheid, in der die Vermischung der Rassen gesetzlich verboten war. Doch heutzutage stellt man diese Frage eher aus ehrlichem Interesse, nicht um den Anderen auszugrenzen, sondern im Gegenteil: Um die Tatsache zu feiern, dass man offiziell zusammensitzen, gemeinsam lachen, sich umarmen kann, obwohl man unterschiedlicher Hautfarbe und Herkunft ist. Denn das war viele, viele Jahre in diesem Land per Gesetz verboten.
Wir kennen in Europa Rassismus vor allem in Form einer Marginalisierung von Minderheiten. In Südafrika jedoch ist die marginalisierte schwarze Bevölkerung eine große Mehrheit gegenüber den Weißen. Und auch, wenn sie heute einen Großteil der Regierung stellen und sich ein schwarzer Mittelstand etabliert hat, so hat man immer noch das Gefühl, sie seien benachteiligt. Ich musste vor allem lernen, dass ich als Europäerin hier nicht meine bekannten Maßstäbe anlegen und die Menschen danach beurteilen darf. Weiße Südafrikaner sind nicht alle Rassisten, bloß weil es normal ist, die Autos von einem Schwarzen waschen zu lassen. Und viele schwarze Südafrikaner sind stolz, auf das was sie erreicht haben. Wenn ich also z.B., mit meiner deutschen Brille auf, zu einem Zulu sage „Du wirst so massiv unterdrückt, das ist doch unmenschlich, dass die dich hier das Auto putzen lassen!“, o.Ä., wird er mich wahrscheinlich irritiert ansehen und fragen „Wo ist das Problem? Das ist mein Job.“ Hier zeigt sich deutlich die europäische Privilegierten-Sicht: Ich halte seinen Job für schlecht, weil es „niedere“ Arbeit für mich ist.


Zu Teil 8: mein aktuelles Lieblingsbuch eines Selfpublishers.