Die Tage der Toten - Meine Lieblingsbücher Teil 4

Habt ihr einen Lieblingsautor? Wenn ich das gefragt werde, weiß ich nie, was ich antworten soll. Denn eigentlich habe ich keinen Lieblingsautor. Ich habe zuvor hier die Trilogie von Justin Cronin gepriesen und ich liebe seinen Schreibstil. Aber, ist er deshalb mein Lieblingsautor? Schließlich kenne ich ja nur diese drei Bücher von ihm. Was ist ein Lieblingsautor überhaupt? Ist es der Autor, von dem man die meisten Bücher besitzt? Wenn man danach geht, dann ist Don Winslow (der Autor, nicht der Porno-Regisseur) ein Kandidat für diesen Titel bei mir. Und tatsächlich fiel es mir nicht so leicht, mich für einen Titel für diese Reihe zu entschieden. Ich mag z.B. die „Neal Carey“-Reihe sehr. Oder „Die Sprache des Feuers“– übrigens absolut empfehlenswert, besonders für Action-/Thriller-Autoren, denn man lernt viel über Feuer und die Arbeit von Brandermittlern). Don Winslow ist besonders bekannt für einen Bestseller und auch für mich ist dieses Buch etwas Besonderes, und zwar:

„Tage der Toten“ – Don Winslow (2005)
ISBN: 978-3-518-46200-3, Suhrkamp (Der tiefste Kreis der Hölle ist reserviert für Leute, die „Spiegel-Bestseller“-Aufkleber auf Bücher kleben!)
Klappentext:
Mit großem Tatendrang hat sich der US-Drogenfahnder Art Keller darangemacht, in die Strukturen der mexikanischen Drogenmafia einzudringen – mit Erfolg. So viel Erfolg, dass die Drogendepots reihenweise auffliegen und die Narcotraficantes die Jagd auf ihn eröffnen. Nachdem sein Mitarbeiter von den Gangstern zu Tode gefoltert wurde, schwört Art Keller Rache und startet einen gnadenlosen, blutigen Feldzug gegen die Drogenbarone. Zu spät bemerkt er, dass er sich damit neue Feinde macht – und die sitzen in Washington. Was als „Iran-Contra-Affäre“ in die Geschichte einging, erlebt Keller als gigantisches Drogen-, Geldwäsche- und Waffengeschäft. Vor die Wahl gestellt, seiner Regierung zu folgen, triff er eine einsame Entscheidung – und stößt dabei auf unverhoffte Verbündete.
Erster Satz: „Sie hält ihr totes Baby in den Armen.“

Normalerweise interessiere ich mich nicht so für Buchtipps aus dem Fernsehen. Doch eines Morgens sah ich im ARD MoMa wie Literaturexperte Thomas Schindler Don Winslows Roman mit folgenden Worten beschrieb: Es heißt, man könne „Tage der Toten“ an einer x-beliebigen Stelle aufschlagen und es stirbt einer. 
Das hatte mich dann so neugierig gemacht, dass ich „Tage der Toten“ auf meine Weihnachtswunschliste gesetzt hatte. Man überreichte mir das Geschenk mit den Worten: Du weißt, worauf du dich da einlässt? Puh, also ich wusste: Da stand mir etwas bevor. Ja, dieser Roman ist heftig – mit das Krasseste, das ich je gelegen habe. Auf der Rückseite der deutschen Taschenbuchausgabe steht treffend: Hart. Brutal. Real. Und genau das ist „Tage der Toten“.

Winslow beschreibt den Drogenkrieg, und zwar mit all seinen Facetten. Der Protagonist Art Keller beginnt in den späten Siebzigern als junger Agent für die Drug Enforcement Agency in Mexiko zu arbeiten. Der Gouverneur der Provinz Sinaloa, Barrera, unterstützt die U.S.-Regierung beim Vernichten der Opiumbauern, nur um sich selbst an die Spitze eines neuen Kartells zu setzen, wie sich später herausstellt. Einst ein Ersatz-Onkel für Keller, wird er nun zu seinem Feind und Keller nutzt jedes Mittel, manchmal auch illegale, um Barrera zu Fall zu bringen. Jahre später haben Barreras Neffen Adán und Raóul den Vorsitz im Kartell – sie gehen auch nicht zimperlich mit ihren Feinden um. Für Keller wird der Kampf sehr persönlich und er kämpft gegen die Barreras bis zum bitteren Ende.
Don Winslow nimmt wirklich kein Blatt vor den Mund. Von Menschen, denen die Haut abgezogen wird, über eine Frau, der beim Sex der Kopf mit einem Draht abgetrennt wird, bis hin zu unschuldigen Kindern, die von einer Brücke geworfen werden. Daneben beleuchtet Winslow die Verstrickungen der U.S.-Regierung in der ganzen Sache, z.B. wie zur Zeit von Präsident Nixon Waffen an die Contras nach Südamerika geliefert wurden, um die Ausbreitung des Kommunismus einzudämmen, und im Gegenzug die Drogenbarone in denselben Flugzeugen ihre heiße Fracht nach Mexiko und von dort in die USA transportierten (das Mexikanische Trampolin). Winslow erzählt, wie die NAFTA (das nordamerikanische Handelsabkommen) die Drogentransporte noch leichter machte, und wie reich und unantastbar die Drogenbosse wurden. Er lässt auch nicht aus, wie die Kartelle ihren Einfluss bis nach New York City sichern konnten, nachdem die Mafia sich dort umstrukturierte. All das verwebt Winslow mit einer großen Anzahl an Figuren und es ist nicht immer leicht – auch aufgrund der Ortswechsel – den Überblick zu behalten. Ich musste das Buch – ehrlich gesagt – zweimal lesen, um alles zu erfassen und zu kapieren.

Was? Zweimal?, fragt Ihr Euch jetzt vielleicht. Wieso tut man sich so ein Buch freiwillig ein zweites Mal an? Die Antwort ist einfach: Genau, weil es so brutal ist. Beim ersten Lesen fehlte mir der Fokus. Ich war zu erschüttert von den Ereignissen und wollte gleichzeitig mehr Tempo, weil ich wissen wollte, wie es weiter geht. Dadurch überlas ich viele Details – shame on me, I know. Beim zweiten Lesen konnte mich die Gewalt nicht mehr so schocken/ ablenken und ich begriff nun die geschichtlichen und politischen Zusammenhänge viel besser.
Don Winslow hat mit „Das Kartell“ eine Fortsetzung der Geschichte geschrieben, die ich auch gelesen habe. Im zweiten Teil geht es vor allem um die brutale Machtausübung seitens der Kartelle gegenüber kritischen Journalisten in Mexiko, Gewalt auf den Straßen, die Ohnmacht der Menschen. Ich weiß, das Mexiko ein wunderschönes Land ist, kenne selbst gebürtige Mexikaner persönlich (Kollegen von mir) – doch ehrlich gesagt: Nachdem ich diese Geschichte gelesen habe, will ich erst mal nicht nach Mexiko reisen.
Don Winslow war selbst einst im Schmuggelgeschäft tätig, so heißt es. Er schreibt jedenfalls glaubwürdig, weiß genau, wie es an der Grenze Mexiko-USA zugeht. Auf Twitter wettert er unentwegt gegen Donald Trump (ich liebe ihn dafür!) und er ermutigt junge/ unbekannte Autoren, nicht aufzugeben (dafür liebe ich ihn noch mehr!).