Leseprobe

„Lovers, Sharks And Lions - Trotzdem Liebe“
von Ivy Lang



Kapitel 1
Passaic, New Jersey, Juli 2018


»Joey, du hast es verkackt!«
Lauren schlug die Kühlschranktür zu und wandte sich zu ihrem Halbbruder um. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wie er bisher überhaupt überlebt hatte.
Joey saß rittlings auf einem Küchenstuhl und sah zu ihr auf. Das schlechte Gewissen stand ihm ins Gesicht geschrieben, doch er wirkte, als wäre er nur halb dabei. Als höre er ihr zu, während ihn in Gedanken etwas ganz anderes beschäftigte. Das war so typisch für ihn. Lauren streckte die Hände, ballte die Fäuste und atmete tief durch, wie auch ihr Vater es immer tat, wenn er sauer war.
Allerdings war sie nicht einfach nur sauer. Darüber war sie bei Joey längst hinaus. Sie war kurz davor, ihm ernsthaft weh zu tun. Nicht genug, dass Joey sein Leben nicht auf die Reihe kriegte, und sie mit dem Haushalt und ihrem Vater allein ließ. Nein, dieser nutzlose Idiot musste sich auch noch mit der Mafia einlassen. Das war nicht übertrieben. In diesem Moment standen zwei Männer in ihrem Wohnzimmer, die man durchaus als Mobster bezeichnen konnte, auch wenn dieses Wort vielleicht etwas veraltet war.
»Ich kann nicht fassen, dass du diese Typen jetzt auch noch mit nach Hause bringst!«, fauchte sie Joey an, der sich mit einer verwirrten Geste durch die zerzausten blonden Haare fuhr.
»Das war Doms Idee.«
Lauren zeigte mit dem Finger auf die fleckige Schiebetür, die ins Wohnzimmer führte. »Du sorgst dafür, dass sie verschwinden. Ist das klar?«
Joey zog entschuldigend die Schultern hoch und wirkte – wie so oft – völlig überfordert. »Hey, kann sein, dass ich da was Dummes gemacht habe …«
Lauren war kurz davor zu explodieren. Allein die Tatsache, dass diese Mobster im Haus waren, machte sie stinksauer. Gleichzeitig hielten sie sie davon ab, richtig aus der Haut zu fahren. Und Joey? Bei ihm war einfach alles zu spät. Seit Wochen schon hing er regelmäßig mit diesen Gestalten rum und fand sich selbst obercool, wenn er für sie als Laufbursche irgendwelche kriminellen Jobs erledigte. Bis er einen seiner Jobs offenbar gründlich verkackt hatte.
Ihrem Bruder war natürlich bewusst, dass er in der Scheiße saß. Er zappelte mit dem Fuß.
»Dom meinte, wir sollten mal drüber reden. Also dachte ich, das ist schon okay, wenn ich sie hierher mitbringe.«
Lauren war sich sicher, dass die Wahrheit vollkommen anders aussah. Als wenn Joey in der Position wäre, darüber nachzudenken, was okay wäre und was nicht, ob er sie mitbringen sollte oder nicht! Natürlich hatte er keine Wahl gehabt. Das, was diese Typen ›reden‹ nannten, bedeutete nichts anderes, als dass sie Joey an die kurze Leine nehmen und seine Familie mit reinziehen wollten.
Joey sah zu ihr auf wie ein Hundewelpe, der auf Streicheleinheiten aus war. »Sorry, ich wusste nicht, was ich tun sollte.«
Tatsächlich beschwichtigte sein Blick sie etwas. Wirklich vergeben konnte sie ihm den Schlamassel nicht, doch sie wusste auch, dass es keinen Sinn ergab, sich endlos zu ärgern. Lauren war ein pragmatischer Mensch. Sie ließ ihre Wut abklingen und widmete sich der Frage, was nun zu tun war. Sie musste diese Typen aus dem Haus kriegen, und zwar so, dass sie keinen Ärger machten. Sie nickte Joey zu und bedeutete ihm, ins Wohnzimmer zu gehen. Langsam folgte sie ihrem Bruder.
Joey hatte Dominic Valente und Cyrus Morello mitgebracht. Wer die beiden waren, hatte Lauren erst nach und nach erfahren, denn ihr Bruder war nicht besonders auskunftsfreudig, was seine neuen Freunde anging. Doch Lauren sah sie immer öfter. Wenn sie Joey abholten, war es meist Cyrus, der klingelte, während Dominic im Wagen sitzen blieb. Mit der Zeit hatte Lauren ihrem Bruder ein paar Details entlocken können. Und was sie erfahren hatte, gefiel ihr ganz und gar nicht.
Dominic war ein Mitglied des Valente-Clans, der Neffe des Capo Leonardo Valente, und das beste Beispiel dafür, dass man gutes Aussehen durch Übertreiben sehr wohl ruinieren konnte. Zu viel Gel in den Haaren, ein zu breites Grinsen im Gesicht. Zu viele Muskeln – es sah aus, als hätte er sich ein Superheldenkostüm angezogen. Darüber trug er eine zwei Nummern zu große Kombi aus Jeans, weißem Feinripp-Shirt und beigem Hemd. Eine kitschige Tätowierung – ein Amor mit Pfeil und Bogen – schaute am linken Arm unter dem kurzen Ärmel heraus. Zu viel Badass-Attitüde. Dom Valente bewegte sich mit einer standesgemäßen Selbstsicherheit, so als würde ihm alles gehören.
Vielleicht, weil es im Grunde auch so war.
Cyrus’ Rolle war weniger offensichtlich. Er schien Dominics Freund zu sein, doch wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, dass er immer ein, zwei Schritte hinter ihm ging. Auch jetzt stand er schräg hinter seinem Freund und wirkte eher wie ein Bodyguard oder Aufpasser, damit Dom nicht zu viel Scheiße anstellte. Er war deutlich älter als Dominic, vermutlich Ende dreißig, hatte rötliche Haare und wann immer Lauren ihn sah, trug er ein schwarzes T-Shirt, eine schwarze Jogginghose und abgetretene, weiße Nikes.
»Hallo Lola«, begrüßte Dominic sie.
»Ich heiße Lauren.« Sie warf ihm einen eiskalten Blick zu.
»Ich weiß. Hol uns doch mal was zu trinken, Lola.«